Ehrenamtliche Einsatzkräfte mit zertifizierter Schutzkleidung ausgestattet
Einzigartige Kooperation „Made in Bavaria“ hat Vorbildcharakter
Von den Vorteilen regionaler Lieferketten wird viel gesprochen – gerade wenn es um die Absicherung von kritischer Ausrüstung für Rettungskräfte geht. Die Bergwacht Bayern hat das Thema nun selbst in die Hand genommen und die Schutzkleidung für ihre ehrenamtlichen Einsatzkräfte in Eigenverantwortung umgesetzt. Als Partner für die Entwicklung und Herstellung der Funktionstextilien stand dem Bekleidungsteam die Trans-Textil GmbH aus Freilassing zur Seite. Produziert und geprüft werden die Hightech-Materialien nun in Bayern, die Vorprodukte kommen von europäischen Lieferpartnern. Den hohen Sicherheitsstandard bestätigt die Zertifizierung als „Persönliche Schutzausrüstung“.
Einsatzkleidung von Helfern für Helfer
Im Gegensatz zum herkömmlichen Bergsport bleibt im Einsatz keine Zeit zu überlegen, welche Bekleidungsteile für das aktuelle Wetter geeignet sein könnten. Bei Alarm wird die gesamte Schutzausrüstung schnell gepackt. „Wir müssen auf jede Situation und jeden Wetterumschwung vorbereitet sein. Wir wissen nicht, wie lange wir unterwegs sind und welche Bedingungen wir vorfinden. Unsere Einsatzbekleidung muss also ein breites Spektrum abdecken, robust sein und viele Jahre harten Einsatz überstehen“, erklärt Thomas Lobensteiner, Vorsitzender der Bergwacht Bayern.
Das liegt vor allem an den speziellen Einsatzbedingungen der Rettungskräfte. „Die Kapuze muss so groß sein, dass sie über den Helm passt. Die Jacke muss so lang sein, dass sie beim Klettern nicht nach oben rutscht. Wir brauchen Taschen, in denen die Ausrüstung auch mit Rucksack und Klettergut gut erreichbar ist. Jedes Detail will gut durchdacht sein“, so David Pichler, Projektleiter der Bekleidung Bergwacht Bayern.
So war es für das Team aus Bad Tölz ein konsequenter Schritt, alle Stufen der Herstellung ihrer Schutzkleidung selbst in die Hand zu nehmen. Die Entwicklung erfolgte nicht durch die üblichen Sportartikelhersteller, sondern durch die Einsatzkräfte selbst mit Unterstützung ihrer Partner. Die ehrenamtlichen Retter wurden in der Vorbereitung einbezogen – von der Befragung vorab bis zu den Trageversuchen mit Prototypen und Vorserien. So entstand eine maßgeschneiderte Einsatzkleidung, die von Helfern für Helfer gemacht ist.
Außen Blau-Rot, innen High-Tech
Nach außen strahlen die traditionellen Bergwachtfarben Rot und Blau. Drinnen steckt jede Menge Textiltechnologie aus Bayern. „Die Schwierigkeiten in der Lieferkette während der Corona-Pandemie waren ein Anstoß. Langfristig strebt die Bergwacht Bayern auch eine Verlagerung der Konfektion, die aktuell noch in Fernost stattfindet, näher an Deutschland beziehungsweise Europa an. Wir waren im ersten Schritt auf der Suche nach textilen Materialien und Produktionsstätten, die den Qualitätsstandards entsprechen, Entwicklungen in einer engen Partnerschaft ermöglichen und wirtschaftlich vertretbar sind“.
Fündig geworden sind Pichler und sein Team bei der Trans-Textil GmbH in Freilassing. Mit rund 100 Mitarbeitenden zählt das mittelständische Unternehmen heute zu den technologisch führenden Unternehmen in der Entwicklung und Herstellung von Funktionstextilien. Seit über 40 Jahren entstehen im Berchtesgadener Land Materialien, die weltweit in der Schutzkleidung für Rettungskräfte, Feuerwehren, Sicherheitsbehörden, waschbare medizinische Mehrwegprodukte oder in der Luft- und Raumfahrt zum Einsatz kommen.
Am Anfang stand für das Team von Trans-Textil die gemeinsame Materialentwicklung mit der Bergwacht. Ziel war eine rein europäische Lieferkette und eine Herstellung der individuell auf den Bekleidungstyp abgestimmten Funktionstextilien in Freilassing. Herzstück der mehrlagigen Verbünde ist ein wasserdichtes und gleichzeitig atmungsaktives Membransystem, das die Einsatzkräfte vor Wind und Wetter schützt. Besonders abriebbeständige Komponenten werden für die strapaziösen Einsätze im alpinen Umfeld verwendet. Auch die Technologie zur Versiegelung der Nähte kommt aus Freilassing.
Wert legen die Einsatzkräfte auf Langlebigkeit – laut einer Umfrage unter den Mitgliedern nutzen 50 Prozent ihre Bekleidung bis zu 5 Jahre, 30% sogar bis zu 10 Jahre. „Die Haltbarkeit ist natürlich abhängig von Einsatz und Gebrauch. Durch die Verwendung qualitätsgesicherter Rohmaterialien und Fertigungsverfahren aus Europa haben wir eine wichtige Grundlage geschaffen“, so Pichler.
„Da steckt viel Bayern drin“ – Spende an die ehrenamtlichen Helfer
„In jedem Laufmeter Funktionstextil steckt viel Herzblut von unserem Team und auch ein ganzes Stück Bayern“, meint Dipl.-Ing. Wilhelm Krings, Inhaber und Geschäftsführer der Trans-Textil GmbH. Besonders das Ehrenamt steht im Mittelpunkt. „Die Leistung der Rettungskräfte für die Allgemeinheit verdient unsere höchste Wertschätzung. Wir möchten einen Teil des Erfolgs auch an die Helfer der Bergwacht zurückgeben“, bestätigt Krings. So unterstützt das Unternehmen die Einsatzkräfte mit einer Spende von 10.000 Euro.
Persönlicher Austausch und Umsetzung im „Rekordtempo“
Die kurzen Wege von Bad Tölz nach Freilassing wurden in allen Phasen des Projekts intensiv genutzt. Von der ersten Idee über die Materialrecherche, Entwicklung und Umsetzung von Produktionen über die Zertifizierungen bis zur Verteilung an die Einsatzkräfte sind nur knapp zweieinhalb Jahre vergangen. „Das ist schon fast rekordverdächtig“, meint auch Designerin und Textilingenieurin Claudia Supper, die mit ihrer T.O.C. GmbH in Obertaufkirchen das Konfektionskonzept gemeinsam mit der Bergwacht erarbeitet hat. So begleitete das Bekleidungsteam immer wieder die Produktion und Qualitätskontrolle im Prüflabor direkt bei Trans-Textil vor Ort vom Eingang der Rohmaterialien bis zur Auslieferung. „Wir haben viel gelernt und konnten dank der Offenheit bei Trans-Textil ein sehr gutes Verständnis für die Materialien, die Produktionsabläufe und Qualitätsprüfungen aufbauen. Das hat uns enorm geholfen, unsere eigene Schutzkleidung im Interesse der ehrenamtlichen Helfer voranzubringen“, meint auch Tobias Vogl, Geschäftsführer der Bergwacht Bayern.
Einsatzkleidung wird zertifizierte Schutzausrüstung
„Schutz und Sicherheit für unsere Einsatzkräfte stehen bei allen Überlegungen im Vordergrund. Das gilt für die Ausbildung und den Einsatz ebenso wie für die Ausrüstung und insbesondere für die Bekleidung“, unterstreicht Thomas Lobensteiner. Neben der Kontrolle der gesamten Lieferkette war für ihn auch die Zertifizierung der Bekleidung als gesetzlich geregelte Persönliche Schutzausrüstung (PSA) ein logischer Schritt. „Damit betritt die Bergwacht Neuland. Das Konzept ist nach unserem Kenntnisstand in Europa bisher einzigartig“, bestätigt auch Hendrik Beier, als Leiter der Zertifizierungsstelle Schutztextilien am Sächsischen Textilforschungsinstitut (STFI) mit seinem Team verantwortlich für die unabhängige Prüfung, Bewertung und regelmäßige Überwachung der PSA-Produkte. Denn damit sich die Ausrüstung „Schutz“-Kleidung nennen darf, sind genaue Vorschriften durch Gesetze und internationale Standards einzuhalten.
Für die wasserdichte Hardshelljacke gilt die europäische Norm EN 343 „Schutzkleidung – Schutz gegen Regen“ und die Isolationsjacke trägt die CE-Konformitätskennzeichnung für „Kleidungsstücke zum Schutz gegen kühle Umgebungen“ nach EN 14058. „Dass eine Rettungsdienstorganisation die eigene Schutzkleidung regional selbst entwickelt, die gesamte Fertigungskette steuert und in die Rolle des verantwortlichen Herstellers einer PSA schlüpft, ist einzigartig“, spricht Beier aus Erfahrung. Aktuell wird auch die wasserdichte Einsatzhose in die Zertifizierung aufgenommen.
Modell mit Vorbildcharakter
Neben der geringeren Abhängigkeit von weltweiten Lieferketten und verkürzten Transportwegen, hat die Regionalität einen weiteren Vorteil: durch ein äußerst flexibles Fertigungskonzept können bei Trans-Textil auch kleinere Mengen nachproduziert werden. Das bedeutet geringere Lagerhaltung und Gesamtinvestitionen für die Bergwacht. „Anspruchsvolle Spezialprodukte sind unser Schwerpunkt. Hier können wir uns auf unsere langjährigen Partner in Europa verlassen“, bestätigt Trans-Textil Geschäftsführer Manfred Hänsch. So kommen alle Textilkomponenten sowie die zur Herstellung des mehrlagigen Verbundes notwendigen Hotmelt-Klebstoffe aus europäischen Fertigungsbetrieben, die Verarbeitung erfolgt ausschließlich in Freilassing. „Wir sprechen über höchste Qualitäts- und Umweltstandards nach EU-Gesetzgebung in Rohstoffen und Verarbeitung“, macht Hänsch deutlich. Weit darüber hinaus geht noch die Prüfung und Zertifizierung der Produkte nach Oeko-Tex® Standard 100. Damit bestätigen unabhängige Prüfinstitute die humanökologische Unbedenklichkeit der Funktionstextilien aus Freilassing.
107 Bergwacht-Einheiten gibt es in Bayern, wobei rund 4.500 ehrenamtliche Einsatzkräfte etwa 9.000 Einsätze und 6000 Hilfeleistungen pro Jahr absolvieren. Das Bekleidungskonzept „Made in Bavaria“ kommt dabei nicht nur in den eigenen Reihen gut an. So versorgt die Zentrale in Bad Tölz alle Bergwachten in Deutschland. Aber auch bei den europäischen Partnerorganisationen der Bergrettung ist man hellhörig geworden. Vor allem das praxisorientierte und speziell auf die typischen Einsatzszenarien abgestimmte Material- und Konfektionskonzept sorgt für Aufmerksamkeit, ähneln sich doch die Herausforderungen auch in den südlichen, westlichen und östlichen Alpen.











